Restlicht - Unter Beton IV


2 Beamer, Lautsprecher, Stativ

Video Loop 14:30 Min.

Ton:  Geräusch einer startenden Neonröhre

2020

 

Ortsbezogene Installation. Unter Beton IV I  +BASEMENT

 

 

Restlicht

 

„Ich interessiere mich für den Moment, in dem Wandlungsprozesse stattfinden. Die Flüchtigkeit des Moments wird durch Auflösung und Vergehen sichtbar. Jeder Zustand ist einzigartig und gleichwertig.“ Julia Priss

 

Julia Priss beschäftigt sich in ihren künstlerischen Werken wiederholt mit Fragen der Erinnerung. Wie kann Erinnerung Gestalt annehmen und Form werden? Woran ist sie gebunden, was löst sie aus? Erinnerung hat Zeit und braucht Zeit. Erinnerung ist ein komplexes Thema.

 

Die Videoinstallation Restlicht bezieht sich in doppelter Hinsicht auf +BASEMENT, zum einen auf die Architektur des Raumes, zum anderen auf seine Funktion als Ausstellungsort. Ausgangspunkt ist die Lichtorganisation in der Installation SUPERFLY Essen, die hier vorher gezeigt wurde. Der Künstler Emil Walde hat ein rundes Trampolin, das mit seinen Fangnetzen bis zur Decke reichte, durch einen 8-eckigen Kranz umlaufender Neonlampen ausgeleuchtet wie eine Arena. Diese temporär veränderte Lichtsituation im Ausstellungsraum, die geschlossene 8-eckige Fassung, die zu gleichen Teilen Raumbegrenzung und Raumbeschreibung war, hat Julia Priss zur Werkkonzeption von Restlicht inspiriert. Heute sind die Neonlampen wieder in ihrer angestammten Anordnung montiert.

 

Zwei Videoprojektionen erhellen den Raum, eine ist auf den Boden gerichtet, die andere unter die Decke. Die gleich großen Bilder sind rechtwinklig zueinander positioniert, Koordinaten im Raum. Sie zeigen einen Ausschnitt des Bodens aus derselben Perspektive, doch nicht zur gleichen Zeit. Zwischen den beiden Aufnahmen muss der Boden teilweise abgetrocknet sein, Wasserflecken und Pfützen unterscheiden sich in den Aufnahmen deutlich. Zentrales Motiv beider Bilder ist das Spiegelbild der Neonlampen auf dem nassen Boden. Einzelne Röhren leuchten im Spiegel einer Wasserlache, andere erzeugen eher zerstreute, silbrige Lichtfelder, gebrochen in den Strukturen des Bodens. Zeigt das eine Bild die Reflexionen von 8 leuchtenden Lampen, die nach und nach verschwinden, baut sich, scheinbar im Austausch der Lampen, auf dem anderen der Lichtkranz auf.

 

                Licht aus.                  Licht aus.                   Licht aus.                  Licht aus.                  Licht aus.                  Licht aus.                  Licht aus.                  Licht an…

Licht an.                   Licht an.                    Licht an.                    Licht an.                    Licht an.                    Licht an.                     Licht an.                    Licht an.                   Licht aus…

 

Begleitet wird der stereotype, aber nicht gleichförmige Bildwechsel im Rhythmus der beiden Projektionen von dem Geräusch einer startenden Neonröhre. Der Abfluss des Raumes ist Resonanzkörper für den kleinen Lautsprecher. Mal präzise im Klang eines „Pling“ zum Bildwechsel, dann wieder im Brummen nur eine Ankündigung, scheint im Geräusch das Bindeglied zu liegen, zwischen dem was war und dem was kommt. Der akustische Fixpunkt bildet die dritte Koordinate. Was zu hören ist, ist uneindeutig und unabhängig von einem Ort und einer konkreten Ursache, aber es ist eindeutig in der Zuordnung zu den Bildern.

 

In Restlicht wird der Impuls zur ständigen Veränderung und Erneuerung, der diesen Raum im Keller der Galerie auszeichnet, in der Transformation einer Lichterscheinung zur künstlerischen Form.

Wer die Ruhe mitbringt, sieht in dem Vorgang minimale Bewegungen im Wasser, die das Gesamtbild der Reflexion in fast unmerklicher, aber beständiger Veränderung halten. Das strukturierte An- bzw. Ausgehen der Lichter mit ihrem gleichsam nachsynchronisierten Klang treibt die Zeit sichtbar voran.

Restlicht von Julia Priss ist ein kontinuierlich sich wandelndes Bild, dessen Schönheit nicht zuletzt darin liegt, dass es sich in kontemplativer Betrachtung ähnlich bleibt, ohne Bestimmung.

 

Milo Köpp